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Einstimmen Auf Den Atem

von

Thanissaro Bhikkhu

Aus dem Buch "Meditations"
Copyright © 2003 Thanissaro Bhikkhu
Aus dem Englischen übersetzt von Lothar Schenk

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Eine der Fragen, die ich Ajahn Fuang am Anfang stellte, als ich für längere Zeit zu ihm kam, war: "An was muss man glauben, um meditieren zu können?" Nur eins, war seine Antwort: das Kammaprinzip. Nun ja, wenn wir das Wort "Kamma" hören, denken wir üblicherweise an "Kamma und Wiedergeburt", aber er meinte dabei das Prinzip des Handelns im engeren Sinne: dass das, was man tut, das eigene Erleben formt.

Wenn man davon überzeugt ist, kann man auch meditieren, weil Meditation letzten Endes ein Tun ist. Man sitzt nicht hier und dreht Däumchen, um auf das zufällige Eintreten des Erwachens zu warten. Selbst in sehr ruhigen Meditationszuständen geht noch eine Tätigkeit vor sich. Selbst das "eins mit dem Wissen sein" ist immer noch ein Tun. Es ist etwas Gestaltetes, ein Sankhara. In einer der Lehrreden sagt der Buddha, dass all die verschiedenen Khandas, all die verschiedenen Ansammlungen, welche das Erleben als Ganzes ausmachen, erst durch den Vorgang des Gestaltens zu Ansammlungen geformt werden müssen. Anders gesagt, gibt es ein gewisses Potenzial für eine Form, ein Potenzial für eine Empfindung, ein Potenzial für Wahrnehmen, Gestalten, Bewusstwerden; und die Tätigkeit des Gestaltens ist das, was diese Potenziale in die tatsächlich auftretenden Ansammlungen umwandelt.

Das hört sich abstrakt an, aber es enthält eine selbst schon am Anfang sehr wichtige Lehre in Bezug auf die Meditation. Man sitzt hier im Körper -- und natürlich ist sogar das schon etwas Gestaltetes: die Vorstellung, dass man im Körper säße -- aber in Anbetracht all der vielen verschiedenen Dinge, auf die man genau jetzt die Aufmerksamkeit richten könnte, ist eine Wahlmöglichkeit gegeben. Durch diese Wahlmöglichkeit kommt Kamma zum Tragen. Man kann eine beliebige Empfindung aus denen auswählen, die gerade zur Wahrnehmung gelangen. Es ist, als gäben all die verschiedenen Körperteile Klingelzeichen von sich. Hier gibt es ein Potenzial für Schmerz, dort drüben ein Potenzial für Vergnügen. Diese ganzen verschiedenen Empfindungen präsentieren sich einem, damit man etwas mit ihnen anfangen soll, und man hat die Wahl, welche man zur Kenntnis nimmt.

Medizinische Studien zeigen, dass Schmerz kein rein körperliches Phänomen ist. Er ist nicht vollständig vorgegeben. Es gibt so viele verschiedene Meldungen, die in jedem Augenblick beim Gehirn ankommen, dass man sie unmöglich alle verarbeiten kann, und daher wählt man eben aus, sich nur auf einige davon zu konzentrieren. Und der Geist neigt dazu, sich auf Schmerzen zu konzentrieren, weil diese üblicherweise ein Warnsignal sind. Aber wir sind nicht gezwungen, uns darauf zu konzentrieren. Anders gesagt, mag es an einer bestimmten Stelle im Körper ein leichtes Unbehagen geben, und man kann sich nun darauf konzentrieren und es dadurch immer stärker und stärker, immer mehr zu einem Problem werden lassen. Das ist eine Sache, die man in diesem Augenblick tun kann, aber -- selbst wenn man sich darüber nicht im Klaren sein sollte -- man hat die Wahl, ob man das tut oder nicht. Man kann die Wahl treffen, es nicht zu verstärken. Man kann sogar die Wahl treffen, es völlig zu ignorieren. Sehr häufig reagieren wir auf Empfindungen gewohnheitsmäßig, und diese Reaktionen sind uns so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir glauben, gar keine andere Wahl zu haben. "Es muss so sein", denken wir, aber das stimmt nicht.

Das ist die zweite Folgerung aus dem Kammaprinzip: man kann sein Handeln ändern. Wenn einiges von dem, was wir erleben, von unserem Auswählen und Gestalten abhängt, dann ist dabei eine Änderung möglich. Sehr deutlich läßt sich das sehen, wenn man sich auf den Atem konzentriert. Der Atem ist ständig im Körper vorhanden, und wenn man genau hinschaut, entdeckt man, dass er aus vielen Schichten besteht. Wie bei einem Blick in den Himmel: manchmal spürt man eine Brise aus dem Süden, aber wenn man nach oben zum Himmel schaut, sieht man eine Wolkenschicht, die sich nach Osten bewegt, und weiter oben eine andere Wolkenschicht, die sich nach Westen bewegt. Genau so, wie es viele verschiedene Windschichten in der Atmosphäre gibt, gibt es auch unterschiedliche Schichten des Atems im Körper. Man kann auswählen, auf welche man sich konzentriert.

Es ist wie bei einem Radioempfänger: man kann verschiedene Sender auswählen, indem man das Gerät darauf abstimmt. Radiowellen von allen nahegelegenen Radiosendern umgeben uns in der Luft, auf verschiedenen Frequenzen. Radiowellen aus Los Angeles, Radiowellen aus San Diego, sogar irgendwelche Kurzwellen von wer-weiß-woher, hier überall. Sie durchdringen diesen Raum in diesem Augenblick. Sie durchdringen genau jetzt eure Körper. Und wenn man das Radio anstellt, wählt man die Frequenz aus, auf die man sich konzentrieren möchte, den Sender, den man hören möchte. Genauso ist es beim Körper. Von allen möglichen Empfindungen greift man sich eine bestimmte Art von Empfindung heraus, um sich darauf zu konzentrieren: das Atemhafte am Atem. Wo immer man die Empfindung des ein- und ausströmenden Atems am deutlichsten spürt, genau darauf konzentriert man sich. Nun haben einige von uns ein Radiogerät, das nicht gut gepflegt worden ist, und sobald man eine Radiostation einstellt, rutscht es ab auf die nächste. Also muss man immer wieder nachstimmen, nachstimmen.

Aber das Abstimmen ist nicht das einzige Problem. Es geht auch darum, was man mit einer Empfindung macht, wenn man sich auf sie eingestimmt hat. Wiederum kann man sich einmal so auf den Atem konzentrieren, dass er unangenehm wird, oder man kann sich so darauf konzentrieren, dass er angenehm wird. Man muss beim Atem nicht einfach etwas nehmen, was vorgegeben ist. Was man damit macht, kann ihn mehr oder weniger unangenehm, mehr oder weniger angenehm machen. Um in dem Bild von eben zu bleiben, es ist wie mit der Lautstärkeregelung am Radiogerät: man kann es so laut aufdrehen, dass einem die Ohren weh tun, oder man kann es so leise drehen, dass man es fast nicht hören kann. Aber je besser man mit der Lautstärkeregelung umzugehen lernt, desto mehr entwickelt man ein Gefühl für das richtige Maß, und dann kann man die Lautstärke je nach dem Grad der gewünschten Aufmerksamkeit so einpegeln, wie es einem am besten gefällt.

Indem man sich immer genauer darauf abstimmt, entdeckt man noch weitere Feinheiten. Wieder genau wie beim Radio, verschwindet, wenn man die Frequenz ganz genau eingestellt hat, das Rauschen und man kann Feinheiten im Signal hören, die man vorher nicht wahrnehmen konnte. Man kann mit ihnen spielen, die hohen Töne anheben, den Bass aufdrehen, was man möchte. Obwohl also das Radiosignal vorgegeben ist, kann man eine Menge damit anstellen. Das ist genau jetzt das Kammaelement bei der Meditation: was man mit dem Atem macht.

Man kann lernen, geschickter mit ihm umzugehen, so dass man nicht nur den ganz offensichtlichen Atem spürt, die Luft, die in die Lungen hinein- und aus ihnen herausströmt, sondern auch die Empfindungen, die durch den Körper ziehen, während man einatmet, während man ausatmet, die jeweiligen Bewegungsmuster im Körper, durch welche die Luft in die Lunge hinein- und wieder herausbefördert wird. Jedesmal, wenn man atmet, geht eine Welle durch den Körper. Indem man ein Gefühl dafür entwickelt, spürt man immer mehr, wo es Anspannungen im Körper gibt, und wo nicht; wo die weniger offensichtlichen Atemströmungen richtig fließen, und wo nicht.

Und wieder ist das nicht einfach etwas Vorgegebenes. Man kann mit diesem Fluss unterschiedlich umgehen. Man kann den Fluss verbessern. Wenn man an einer bestimmten Stelle im Körper Anspannung bemerkt, entspannt man sie; und oft ist es so, dass man dadurch die Atemströmung nicht nur an diesem einen Punkt verbessert, sondern auch an anderen Stellen im Körper. Man entwickelt allmählich ein Gefühl dafür, den Körper als eine ganze Reihe verschiedener, miteinander verknüpfter Energiemuster zu sehen. Eine Verfestigung hier oben mag zu einer Verfestigung da drüben führen, und alles verbindet sich mit allem anderen zu einem Gefühl umfassenden Eingeengtseins, von Zonen der Anspannung, die den Körper einschnüren. Oder man kann sie auflockern. Das ist die Wahl, die man hat. Man kann das Stückchen Spannung an dieser einen Stelle hier lockern und feststellen, dass es zur Auflösung der Spannung an einer anderen Stelle da drüben führt. Oder man stellt vielleicht fest, dass alles so erschlafft, dass man einzunicken beginnt. Das bedeutet, dass man ein Gespür dafür bekommen muss, wie es "genau richtig" ist, um bei der Empfindung bleiben, um darauf ausgerichtet bleiben zu können. Und selbst wenn dann das Radiosignal etwas abzuwandern beginnt, kann man ihm präzise folgen und genau bei ihm bleiben.

An diesem Punkt kann man die Empfindung des ein- und ausströmenden Atems -- des groben, offensichtlichen Atems -- fallen lassen und sich mehr auf den feineren Strom des Atems im Körper konzentrieren. Indem man sich durch die verschiedenen Körperstellen hindurcharbeitet, wo es sich angespannt, gehemmt oder irgendwie leergepresst anfühlt, läßt man diese ganzen Ecken und Winkelchen sich mit der Empfindung des Atems füllen, und es stellt sich ein immer größeres Gefühl des Angefülltseins, des Erfrischtseins ein. Das ist das, was man piti nennt. Es ist das Aufsaugen, das Trinken dieses Wohlgefühls. Üblicherweise übersetzen wir piti mit Entzücken, aber der Pali-Begriff steht auch mit dem Wort für Trinken, pivati, in Verbindung. Man trinkt dieses angenehme Gefühl, man saugt es ein. Überall im ganzen Körper fühlt man sich erfüllt und erquickt, weil man jede noch so kleine Körperzelle aufgeschlossen und dem Atem erlaubt hat, einzuströmen. Wenn man dieses Gefühl der Fülle verspürt, kann man sich leichter entspannen.

Es mag kein schönes Bild sein, aber der Geist verhält sich dabei wie eine Stechmücke, wenn sie endlich eine große Ader im Körper gefunden hat. Sie steckt ihren kleinen Saugrüssel hinein und so bleibt sie dann, in Seligkeit gebadet. Die Flügel erlahmen, die Beine erlahmen, und ganz egal, wie sehr man versucht, sie fortzuscheuchen, sie will einfach nicht weg. Sie saugt einfach weiter ein, was sie haben will. So ist es auch beim Geist: sobald jenes erquickende Atemgefühl allmählich den Körper anfüllt, lässt man alles übrige los. Ganz gleich, was an sonstigen Störungen auftauchen mag, man interessiert sich kein bisschen dafür, weil man etwas hat, das einen wirklich zufriedenstellt. Man könnte fast sagen, dass es ein Gefühl ist, um dafür zu sterben. Man lässt seine Verteidigung herunter, man lässt alles andere fallen, weil dieses Gefühl einen so in Anspruch nimmt. Man hat jede Stelle im Körper, jeden Teil seines Bewusstseins für das Eindringen dieses Gefühls geöffnet.

Indem man so weitermacht und der Geist immer ruhiger wird, entdeckt man ein noch tieferes Gefühl vollkommener Fülle, bei dem es kein Hin- und Herströmen mehr gibt -- eine wahrhafte Stille im Körper. Man hat ein schwaches Gefühl, dass an der Körperoberfläche, an der Grenze des eigenen Gewahrseins, ein Luftaustausch stattfindet, aber tief im Innern herrscht eine große Ruhe. Das Gefühl des Trinkens, des Einsaugens ist nicht mehr da, weil man jetzt vollkommen ausgefüllt ist. Ajahn Lee verwendet das Bild eines Eiswürfels: ein Dunst steigt vom Eiswürfel auf -- eine ätherische Bewegung am Rand des eigenen Gewahrseins -- aber alles andere ist fest und ruhig.

Dann hört schließlich selbst dieser Dunst noch auf, und eine unverrückbare Festigkeit füllt das ganze Bewußtsein aus. Sie wird von einem Gefühl der Helligkeit begleitet, obwohl man diese Helligkeit möglicherweise nicht als Licht empfindet. Es ist eine eigentümliche, körperliche Empfindung, ein Anklang von Helligkeit und Klarheit, die den ganzen Körper durchdringen, und man sitzt einfach nur mitten drin.

Es gibt keinen Grund, diese Stadien im Schnelldurchgang zu durchlaufen, keinen Grund, etwas erzwingen zu wollen. In der Tat ist es am besten, wenn man nicht versucht, so schnell wie möglich voranzukommen. Findet einfach eine Empfindung, auf die ihr euch einstimmen könnt. Bleibt dabei, und sie wird sich von selbst entfalten, einfach weil euer Fokus konstant bleibt. Wenn man am Ende zu diesem Gefühl der festen Ruhe gelangt ist und dabei bleibt, erkennt man allmählich, dass man darüber entscheiden kann, ob man ihm eine Gestalt gibt oder nicht. Man kann sich auf die Empfindungen konzentrieren, die einem das Gefühl körperlicher Gestalt vermitteln, oder man kann sich entscheiden, sie zu ignorieren. Das ist der Punkt, an dem man wirklich erkennen kann, wie das Kammaprinzip bei der Meditation zum Tragen kommt. Es ist fast so, als hätten sich die verschiedenen Körperempfindungen in einen Nebel verwandelt. Es gibt diese schimmernden Atemtröpfchen, und man spürt die sie umgebenden Zwischenräume. Der ganze Körper ist mit dieser Räumlichkeit angefüllt, die sich auch außerhalb des Körpers in alle Richtungen erstreckt. Anstatt sich auf die Tröpfchen zu konzentrieren, kann man sich auch auf den sie umgebenden Raum konzentrieren. Man erhält so einen unmittelbaren Anschauungsunterricht darin, wieviel Entscheidungsfreiheit man beim Erleben der Gegenwart hat. Allein schon das Gefühl, überhaupt einen Körper zu haben, rührt von unterbewußten, Gestalt gebenden Entscheidungen her, die man macht. Man entdeckt, dass es viele verschiedene Empfindungen gibt, auf die man sich jeweils konzentrieren kann, und dass es darauf ankommt, wie geschickt man diese Empfindungen auswählt, wie man die gewünschten verstärkt und die unerwünschten einfach beiseite läßt.

Obwohl es hierbei also eigentlich um die Übung in Konzentration geht, ist auch eine Menge Unterscheidungsvermögen daran beteiligt. Wie der Buddha einmal sagte, braucht man sowohl Ruhe als auch Einsicht, um zu guten, starken Vertiefungszuständen zu gelangen. Und wenn er von Einsicht sprach, dann immer in Verbindung mit Kamma, in Verbindung damit, wie geschickt das jeweilige Tun gerade ist.

Diese Übungsweise bereitet also den Boden vor, damit man -- wenn es daran geht, die Themen Unbeständigkeit, Leidhaftigkeit und Nicht-Selbst zu betrachten -- sich im richtigen Rahmen bewegt. Man hat einen guten Ort im Innern geschaffen, einen guten Ort in der Gegenwart, so dass man es nicht nötig hat, hungrig nach Diesem oder Jenem zu greifen. Wenn man die Fülle und Ruhe ausgiebig gekostet hat, ist man viel eher in der Gemütsverfassung, um die Dinge so zu betrachten, wie sie wirklich sind -- damit, wenn Einsicht aufsteigt, sie einen nicht aus dem Gleichgewicht bringt. Ohne diese feste Grundlage können Gedanken über Unbeständigkeit, Leidhaftigkeit und Nicht-Selbst einen leicht aus dem Konzept bringen. Aber wenn man über diese Themen im Rahmen dessen nachsinnt, was man gerade in der Meditation tut, führen sie zu noch größerer Festigkeit. Das ist der Punkt, an dem sich Konzentration, Ruhe, Einsicht und Unterscheidungsvermögen alle auf gesunde, ausgewogene Weise treffen.

 

 

Source : http://home.arcor.de/einsicht/einstimmen.html

 

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