Ajahn Chah
"Zunächst hört man vom Dhamma, aber man
hat ihn noch nicht studiert. Dann lernt man den Dhamma, aber
man versteht ihn noch nicht. Anschließend versteht man ihn,
hat aber noch nicht praktiziert. Man praktiziert, aber man hat
noch nicht die dem Dhamma innewohnende Wahrheit erkannt.
Schließlich sieht man den Dhamma, aber unser ganzes Wesen ist
noch nicht zu Dhamma geworden. Erst wenn unser gesamtes Wesen
vom Dhamma durchdrungen ist, dann haben wir das Ende der
Praxis erreicht".
Diese Beschreibung der verschiedenen Stadien des Zugangs zum
Dhamma wurde von Ajahn Chah häufig verwendet, um auf das
graduelle Fortschreiten und Vertiefen innerhalb der Dhamma
Praxis hinzuweisen.
Grundsätzlich sah Ajahn Chah die Dhamma
Praxis eher als einen Lebensweg an, anstatt ausschließlich als
eine Gruppierung von Übungen und Ritualen. Und das Ziel der
Übung - obwohl er sehr selten von Zielen und Errungenschaften
sprach - bestand für ihn in nichts weniger als dem Zuendekommen
des Leidens, eines Zustands der Klarheit und des inneren
Friedens, in dem unser Herz/Geist nicht mehr von inneren und
äußeren Phänomenen hin und her geworfen wird.
In seinen - heute zum großen Teil publiziert
vorliegenden - Belehrungen, die er in freier Rede vortrug, hat
Ajahn Chah oft die Technik der Wiederholung und Vereinfachung
angewandt, um die grundlegenden Wahrheiten so eindrücklich und
klar wie möglich zu vermitteln. Er hat während seiner
Ausführungen seine Zuhörer immer wieder darauf aufmerksam
gemacht, seinen Worten weder zu glauben noch ihnen nicht zu
glauben, sondern die Lehren zu ergründen und zu betrachten,
inwieweit sie sich auf unsere persönliche Erfahrung beziehen.
Seine Hauptthemen waren z.B. immer wieder eine ethisch integre
Lebensweise, Ursache und Wirkung, Vergänglichkeit,
Nicht-Anhaftung, das Vermeiden von Extremen und vor allem, die
Dinge nicht zu ernst zu nehmen. Manchmal jedoch gab Ajahn Chah
seinen Zuhörern einen Vorgeschmack vom "anderen Ufer". Eine
Perspektive, die er selbst zu verkörpern schien, und die über
die Bedingtheiten von Ursachen und Wirkungen hinaus wies.
Ajahn Chah hat sich allerdings oft gefragt,
ob irgend jemand von seinen Schülern in der Lage sei, diese
Sichtweise in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen. Derzeit befinden
wir uns mitten in einem Stadium der Übertragung des Buddhismus
in die westliche Welt, wo viele Menschen den Weg des Buddha seit
Jahrzehnten studieren und praktizieren. Es mag also Menschen
geben, die diese Perspektive durch ihre eigene Erfahrung
nachvollziehen können.
Der folgende Vortrag zum Titelthema wurde von
AjahnChah an eine Gruppe von Mönchen in einem thailändischen
Waldkloster gerichtet.
Vor einiger Zeit lebte ich mit einer kleinen
Gruppe von Mönchen in einem Waldgebiet, wo es eine kleine
Meditationshalle gab, die nur sehr spärlich beleuchtet war. Ein
Mönch las dort eines Abends ein Buch, und als seine Kerze
abgebrannt war, ließ er das Buch liegen und ging fort.
Kurz darauf kam ein anderer Mönch vorbei und
trat im Dunkeln auf das Buch. Er hob es auf und dachte: Hmm,
dieser Mönch scheint nicht besonders viel Achtsamkeit zu
besitzen. Warum hat er das Buch nicht dorthin zurück getan, wo
es hingehört?
Später traf er den ersten Mönch und fragte
ihn: "Warum hast Du das Buch nicht an seinen Platz zurückgelegt?
Ich bin im Dunkeln darauf getreten." Der erste Mönch erwiderte:
"Du hattest keine Selbstkontrolle. Du warst nicht aufmerksam
genug und bist deshalb auf das Buch getreten:" Aber der Andere
antwortete wiederum: "Warum hast du Dich denn nicht um das Buch
gekümmert und es weggelegt?"
So ging das hin und her, der Erstere machte
den Zweiten dafür verantwortlich, daß er das Buch nicht verstaut
habe, und dieser warf ihm wiederum vor, daß er nicht vorsichtig
genug war und deshalb auf das Buch trat. So geht das, wenn man
nur nach logischen Antworten sucht. Es ist dann kein Ende
abzusehen.
In Bezug auf den echten Dhamma müßt ihr
Ursache und Wirkung beiseite legen. Der Dhamma ist höher als
das. Der Dhamma, zu dem der Buddha erwachte, kann mentalen
Schmerz überwinden und daher Leiden entfernen. Er steht somit
über den Ursachen und jenseits von deren Wirkungen. Es gibt dort
kein Leiden und kein Glück. Der Dhamma, den der Buddha lehrte,
kann unserem Leben Frieden bringen, uns von Ursachen und
Wirkungen befreien. Wenn man sich nur auf die Logik von Ursache
und Wirkung verläßt, dann gibt es bloss endlose Dispute, wie bei
den beiden Mönchen, die sich über den Vorfall mit dem Buch
stritten. Sie können ewig so weitermachen und auf logische Art
ihre Gründe diskutieren. Auf diese Weise gibt es keinen Frieden.
Als Menschen, die den Dhamma studieren,
sollten wir über Ursache und Wirkung Bescheid wissen: Glück
kommt von den einen, und Leid kommt von anderen Ursachen. Wir
beginnen zu erkennen, daß es in unseren Handlungen immer das
Prinzip von Ursache und Wirkung gibt. Aber der Dhamma, den der
Buddha realisierte, besteht in der Erfahrung des wahren
Friedens: Das, was über Ursache und Wirkung hinausgeht, was sich
jenseits von Glück und Leid sowie von Geburt und Tod befindet.
Aber jetzt bekommt ihr wahrscheinlich noch mehr Zweifel, wenn
ihr solche Dinge hört. Aber dies ist wirklich äußerst wichtig,
denn dies ist der Dhamma, welcher uns inneren Frieden bringt.
Unser Verlangen oder unser Wunsch, die Dinge
möglichst schnell zu erkennen, ist nicht Dhamma. Es ist einfach
nur unser Verlangen. Wenn wir aufgrund unseres Verlangens
handeln, dann gibt es kein Ende. Ihr kennt bestimmt die
Geschichte von Ananda, dem Aufwärter des Buddha. Sein Vertrauen
in den Buddha war immens. Nach dem Dahinscheiden des Buddha
sollte ein Sanghayana - ein Sangha Konzil - stattfinden,
und zu diesem Anlaß sollten nur Arahats zugelassen werden.
Ananda war entschlossen, den Arahat-Zustand zu erreichen, und er
begann eine intensive Praxis, damit er sich ihnen anschließen
konnte. Aber sein Geist wollte einfach nicht das tun, was er von
ihm verlangte. Er befand sich in einem sehr ungeschliffenen
Zustand und stieß immer wieder an Grenzen, was ihn frustrierte.
"Morgen ist das Sangha Konzil. Alle meine Dhamma-Freunde - die
Arahats - werden daran teilnehmen, aber ich bin noch immer eine
ganz normale Person. Was soll ich nur machen?"
Er beschloß, von Sonnenuntergang bis zum
Morgengrauen zu meditieren. Er strengte sich enorm an, wurde
aber schnell sehr müde. Als er schließlich mit seinem Latein am
Ende war, entschied er sich für eine kurze Pause. Im
Morgengrauen bereitete er sich mit einem Kissen einen
Liegeplatz. Bereits während er den Entschluß gefaßt hatte, sich
auszuruhen, begann sein Geist loszulassen und seine
Geschäftigkeit abzulegen. Und dann, während er sich niederlegte
- noch ehe sein Kopf das Kissen berührte, ließ sein Geist
vollständig los, und er sah den Dhamma. Er erlangte Erleuchtung
und wurde zum Arahat.
Wenn wir uns eifrig bemühen, loszulassen,
wird es uns nie gelingen. Wir könnten es jahrelang probieren,
und es würde nichts geschehen. Aber in dem Moment, als Ananda
sich entschloß, eine Pause einzulegen und seine Bürde abzulegen,
etwas erreichen zu wollen - und sich stattdessen auf achtsame
Weise hinzulegen, ließ sein Geist los und er war in der Lage,
zur Erkenntnis zu gelangen. Er mußte nicht irgend etwas
Spezielles tun. Vorher wollte er, daß irgend etwas passierte,
aber es funktionierte so nicht. Er gönnte sich keine
Gelegenheit, auszuruhen und somit auch keine Gelegenheit, zum
Dhamma zu erwachen.
Es ist wichtig zu verstehen, daß es sich beim
Erwachen zum Dhamma um ein Loslassen handelt, welches auf
Weisheit und Erkenntnis basiert. Es geschieht nicht anhand von
Wünschen und Streben, sondern durch ein Loslassen in voller
Achtsamkeit. Wenn dann dieses Ausruhen geschieht, wird nichts
den Geist belasten. Es gibt kein Verlangen, ihn zu stören. Dann
kann der Geist unmittelbar erwachen, wie in Anandas Fall. Ananda
war so gut wie sich selbst nicht gewahr. Er wußte nur, daß er
nicht das bekam, was er wollte. Das Verlangen nach Erleuchtung
machte seinen Bemühungen einen Strich durch die Rechnung. Also
entschloß er sich dazu, eine Pause einzulegen.
Es ist nicht leicht, über das Erwachen zu
sprechen, und dann auch noch auf eine Art, daß die Menschen es
verstehen. Es ist vor allem dann schwierig in die Praxis
umzusetzen, wenn die Leute falsche Sichtweisen haben. Zum
Beispiel sagte der Buddha, daß dieser Ort (der Ort des
Erwachens; Anm. d. Übers.) für Menschen nicht zum Verweilen
geeignet ist. So wie es z.B. hier den Fußboden und das Dach
gibt. Wenn es kein Dach und keinen Fußboden gäbe, dann wäre da
nichts, oder? Es gäbe nichts, worüber man sprechen könnte. Der
Raum zwischen nichtexistierendem Fußboden und Dach kann von
Menschen nicht bewohnt werden - ein Werdeprozeß existiert dort
nicht. Der Werdeprozeß ist das obere und untere Stockwerk. Wenn
die Menschen irgendwo leben wollen, so müssen sie das oben oder
unten tun. [1]
"Kein Werdeprozeß?" Niemand interessiert sich
dafür.
Wenn man losläßt, wird dann irgend etwas
geboren? Wenn du nach oben gehst, bedeutet das einen
Werdeprozeß. Vielleicht fühlst du dich wohl da oben in der
höchsten Etage, und das Herunterkommen fühlt sich nicht so
angenehm an. Du hast das Gefühl, daß es angenehm ist, aber es
ist die Wurzel des Leids. Du willst dich nicht von diesem
Vergnügen und Schmerz lösen und Normalität erfahren, weil du den
Ort bevorzugst, wo sich der Werdeprozeß abspielt. Der Ort ohne
Werdeprozeß ist überhaupt nicht interessant für dich. Allein der
Versuch, sich auch nur eine Vorstellung davon zu machen, ist
schon sehr schwierig.
Was der Buddha damit meinte, als er von einem
Ort ohne Werdeprozeß und ohne Geburt sprach, war einfach nur der
Zustand des Nichtanhaftens. Anhaftung ist die Ursache für das
Entstehen von Leiden. Wir können diese anklammernde Anhaftung
nicht loslassen, aber dennoch wollen wir inneren Frieden. Aber
es ist auf diese Weise nicht friedvoll. Wir leben mit dem
Werdeprozeß. Keinem Werdeprozeß ausgesetzt zu sein, können wir
uns einfach nicht vorstellen. Daraus bestehen die Gewohnheiten
und der Kummer der Menschen.
Von nibbana (das völlige Versiegen von
Gier, Hass und Unwissenheit; das Endziel buddhistischer Praxis;
Anm. d. Übers.) sagt der Buddha, daß es sich jenseits von
Werdeprozeß und Geburt befindet. Die Leute verstehen das nicht.
Sie verstehen nur die Angelegenheiten, die sich um den
Werdeprozeß und die Geburt drehen. Wenn es keinen Werdeprozeß
gibt, dann gibt es auch keinen Platz zum leben. Wenn es keinen
Platz zum leben gibt, was soll ich dann tun? Wie soll ich
existieren? Gewöhnliche Leute denken, es sei besser, hier zu
bleiben. Sie wollen geboren werden, aber sie wollen nicht
sterben. Gibt es so etwas überhaupt? Wenn du etwas willst, was
gar nicht sein kann, dann hast du ein großes Problem. Die Leute
denken aber so, weil sie dukkha (die Unzulänglichkeit des
Lebens) nicht verstehen. "Ich will geboren werden, aber ich mag
den Tod nicht." Letzten Endes geht es auf nichts anderes als
diese Aussage zurück.
Der Buddha sagte, daß der Tod von der Geburt
herrührt: Wenn du nicht sterben willst, dann werde nicht
geboren. Die Leute denken: Nun, ich will nicht sterben. Ich will
zwar wiedergeboren werden, aber ich will auch nicht sterben. Man
könnte annehmen, daß sie sehr starrköpfig seien. Mit Menschen zu
sprechen, die unter dem Einfluß von Verlangen und Anhaftung
stehen, ist sehr mühsam. Denn es wird äußerst schwierig für sie
sein, an den Punkt des Loslassens zu gelangen.
Leidenschaft und Begierde sind einfach von
solcher Beschaffenheit. Der Buddha belehrte uns über den
Zustand, wo diese Dinge nicht wirklich existieren. Wenn es
keinen Ort gibt, wo man einen Pfeiler hinsetzen kann, wie können
wir dann überhaupt darüber sprechen, etwas bauen zu wollen? Das
entspricht keinem Werdeprozeß und keiner Geburt, keinem Ort, um
geboren zu werden. Aber wenn wir darüber sprechen, dann können
die Leute nicht wirklich zuhören und verstehen. Wenn man über
ein Selbst spricht, dann wird nachdrücklich darauf hingewiesen,
daß es so ein Ding nicht gibt. Das Selbst ist nur eine
Konvention. Auf der absoluten Ebene, der Ebene der Befreiung,
existiert es nicht. Die elementhafte Natur entsteht allein
aufgrund der Tatsache, daß Ursachen und Bedingungen sich
manifestieren. Wir gehen davon aus, daß dies das Entstehen eines
Selbst darstellt, und wir halten uns daran fest. Ist diese
Mutmaßung einmal vorhanden, so greifen wir nach "ich" und
"mein". Aber wir wissen eigentlich gar nicht, was da vor sich
geht. Also sagen die Leute: "Ich will geboren werden, aber ich
will nicht sterben."
Wenn man vom Eintritt in den Strom von
nibbana spricht, wenn echte Erkenntnis in dir vorhanden ist,
dann gibt es niemanden, der irgendetwas will. Und weiter,
nibbana ist keine Anglegenheit des Wünschens oder Wollens.
Es handelt sich da nicht um etwas, was man begehren kann. Diese
charakteristische Eigenschaft ist nicht leicht zu verstehen.
Bei diesem Aspekt des Dhamma handelt es sich
nicht um etwas, was man erklären oder den Leuten gar überreichen
könnte. Unsere Eltern würden es uns bestimmt sehr gern geben,
aber selbst sie wissen nicht, was es ist, und sie haben auch
keine Mittel, dementsprechend zu handeln. Es geht dabei um
etwas, was man in sich selbst erkennen muß. Du kannst zwar
anderen davon erzählen, aber da besteht schon das Problem:
Werden sie wirklich verstehen, worüber du sprichst? Wenn sie die
Erkenntnis nicht in ihrem eigenen Geist finden, dann werden sie
es nicht kapieren. Deshalb sagte der Buddha: "Der Tathagata
(damit bezeichnete sich der Buddha selbst; der „Vollendete" oder
wörtlich: „einer, der zur Soheit gegangen ist". Anm.d.Übers.)
weist nur den Weg." Genau wie ich das heutzutage tue - ich bin
nur derjenige, der erklärt, nicht derjenige, der es für euch
ausführt. Indem ihr dies gehört habt, müßt ihr praktizieren und
realisieren. Dann wird das Wunderbare und Unfaßbare entstehen
und in eurem eigenen Geist erkannt werden. Es gibt da eine
Geschichte in den Schriften, wo die Menschen den Buddha über
nibbana befragen. Als er sich weigerte, sich darüber
auszulassen, begannen sie zu vermuten, daß er es selbst wohl
nicht kannte. Wie aber konnte der Buddha es nicht wissen? Der
springende Punkt dabei ist, daß so eine Sache von jedem
Individuum selbst realisiert werden muß.
Wenn ihr mich auf diese Weise sprechen hört
und mir einfach nur glaubt, dann ist das nicht so gut. Es ist
noch nicht wirklich echt und authentisch. Diejenigen, die
einfach anderen Leuten glauben, wurden vom Buddha als töricht
bezeichnet. Er sagte nämlich, man solle den Dingen zunächst
zuhören und sie dann kontemplieren, sodaß man dann die darin
enthaltene Wahrheit erfahren könne. Man solle in der Lage sein,
zuzuhören, ohne daß man sich dem Gesagten verweigert. Seid also
empfänglich für die Worte, nicht nur um ihnen lediglich zu
glauben, sondern auch um deren Bedeutung zu ergründen. Es
handelt sich dabei weder um ein Glauben noch um dessen
Gegenteil. Legt diese beiden Gegensätze für eine Weile beiseite
und kontempliert stattdessen nach besten Kräften.
Es gibt also diese zwei Extreme. Wir
tendieren jeweils nach der einen oder der anderen Seite, aber
wir bleiben nicht gern in der Mitte. Die Mitte ist der einsame
Weg. Gibt es Anziehung, dann gehen wir in in deren Richtung.
Wenn Ablehnung vorhanden ist, so gehen wir jenen Weg. Sie beide
abzulegen, fühlt sich einsam an. Wir weigern uns, dorthin zu
gehen. Der Buddha lehrte, daß keines der beiden Extreme der Weg
eines ruhevollen und gelassenen Menschen ist. Wir müssen
unbedingt frei von Genußsucht und Schmerz sein, denn keines von
beiden bedeutet den Weg des Friedens. Sind wir einmal von diesen
Dingen befreit, dann können wir wirklich friedvoll sein. Indem
man nämlich denkt: "Ich bin so glücklich" - das ist es noch
nicht. Das ist nur das Glück, das in der Zukunft zu Leiden wird.
Dies sind die Dinge, denen wir uns äußerst gewahr sein müssen,
und während wir den Pfad entlanggehen, sehen wir die beiden
Extreme und gehen weiter. Wir bleiben in der Mitte, ohne diese
zu begehren, denn wir wollen Frieden, nicht nur Vergnügen oder
Schmerz. Das ist der korrekte Pfad.
Die Dhamma-Praxis führt uns an den Punkt des
Loslassens. Aber um loszulassen, müssen wir eine Erkenntnis der
Phänomene besitzen, die der Wahrheit entspricht. Sobald echtes
Wissen entsteht, wird auch Ausdauer in der Dhamma-Praxis
vorhanden sein. Es gibt dann ein enthusiastisches, beständiges
Bemühen, und das bezeichnet man als Praxis.
Bist du einmal am Ende angelangt, dann
brauchst du den Dhamma nicht mehr zu benutzen. Wie bei einer
Säge, mit der man Holz durchschneidet. Wenn das Holz geschnitten
ist, legt man die Säge beiseite. Man braucht sie dann nicht
mehr. Die Säge repräsentiert den Dhamma. Dhamma ist das
Werkzeug, das dir hilft, den Pfad und dessen Erfüllung zu
erreichen. Wenn wir das einmal erreicht haben, legen wir es hin.
Wenn die Arbeit einmal getan ist, warum würde man dann noch die
Säge festhalten?
Das Holz ist das Holz. Die Säge ist die Säge.
Es geht hierbei ums Anhalten, sobald man den wesentlichen Punkt
erreicht hat: das Ende aller Belastungen des Begehrens und der
Unwissenheit. Das Holz ist gesägt. Du brauchst nichts mehr zu
tun; du kannst die Säge hinlegen. Jemand, der praktiziert, muß
sich auf den Dhamma verlassen. Das ist jemand, der noch nicht
ans Ende gelangt ist. Aber wenn die Arbeit getan ist, dann
brauchst du nichts mehr zu tun. Du kannst ganz natürlich an
diesem Punkt loslassen. Ohne jegliche Anhaftung und indem man
die Bedeutung der Dinge erkannt hat, gibt es keine
Notwendigkeit, noch irgend etwas zu tun. Das ist der Zustand des
inneren Friedens.
Wenn wir davon hören, dann sind wir voller
Zweifel. Was kann das sein?
Es scheint so weit von uns entfernt zu sein,
aber in Wirklichkeit ist es sehr nah. Es ist etwas, was ihr in
eurem eigenen Geist entdecken könnt. Die Dinge entstehen und ihr
realisiert, daß sie ungewiß und unsicher sind: "Dies ist nicht
wahr. Das ist nicht wahr." Wo ist das Wahre? Genau dort! Es mit
Vermutungen zu versuchen - dies ist so und das ist anders, ist
nicht richtig. Laßt die Dinge los, gewöhnt euch das Urteilen und
Mutmaßen ab. Wir gehen sonst vor und zurück, hin und her und
immer wieder daran vorbei, und sind beständig in einem Zustand
der Verwirrung.
Beende deine Leiden hier. Beende deine
Zweifel und halte an. Mach Schluß damit - genau hier an diesem
Punkt.
Titel des Originals: "Being Dharma" by Ajahn
Chah;
© 2001 by Paul Breiter
Erschienen bei: Shambhala Publications, Inc., Boston
www.shambhala.com
Übersetzung: Ajahn Khemasiri
[1]
Ajahn Chah nimmt hier Bezug auf bhava - den Werdeprozeß.
Dieser wichtige aber schwer übersetzbare Begriff folgt in der
Darlegung des Bedingten Entstehens (paticca samuppada)
unmittelbar auf sämtliche inneren Strukturen des Begehrens und
Anhaftens (upadana) und mündet unvermeidlich in eine
leidvolle Erfahrung. 'Der Ort des Erwachens' jedoch zeichnet
sich unter anderem durch das völlige Zurruhekommen dieses
Werdeprozesses aus, und ist in Ajahn Chahs Analogie so
unvorstellbar wie der Raum zwischen einem nichtexistenten
Fußboden und einem ebensolchen Dach. Alle Geistes- und
Gemütszustände, mit denen wir uns blind identifizieren, fallen
in den Bereich des Werdeprozesses. Eine Freiheit, die darüber
hinausgeht, ist uns unvorstellbar und deshalb 'kein Ort des
Verweilens'. - Anm.d. Übers. -
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