Die
Frage, wie wir mit Verzweiflung Frieden schließen können, ist eine
zutiefst spirituelle Frage. Sie kann durch den naheliegenden und
gewohnheitsmäßigen Versuch, die Welt nach unseren Vorstellungen zu
ändern, nicht wirklich gelöst werden. Mit der Verzweiflung Frieden
schließen ist eine Sache des Verstehens. Ein Verstehen, das nicht nur
begreift, daß wir uns Erfahrungen wie Verlust, Krankheit, Gewalt und
Entbehrung ausgesetzt finden, sondern auch wie wir das bloße Bewußtsein
solcher Probleme als erdrückend erleben.
Verzweiflung fällt uns aus vielen Gründen an: weil wir genau dann denken,
wenn wir nicht denken wollen; weil der Geist unsicher, sprunghaft,
unbeständig ist; weil wir zweifeln und nicht wissen, was wir tun sollen.
Wir alle kennen das Gefühl der aufkommenden Verzweiflung: wenn sich
irgend etwas querlegt, wenn etwas nicht verschwindet das wir nicht
leiden mögen, wenn uns schmerzliche Erinnerungen einholen, wenn wir
irgendwo hängen bleiben. Es gibt zahllose Gründe für unsere Verzweiflung;
das Gefühl aber, von ihnen niedergezwungen und erdrückt zu werden,
gleicht sich bei allen und es ist im wesentlichen eine spirituelles
Leiden. Es befällt den Geist, das Herz, die Seele.
Menschen verfügen über die gedankliche Fähigkeit, von ihrer
unmittelbaren Erfahrung einen Schritt Abstand zu nehmen und sich zu
sagen: „Das gefällt mir nicht. So will ich das nicht. Das soll aufhören!“
Am Anfang des spirituellen Pfades steht die Erkenntnis, daß unser
Hauptproblem nicht die ungerechte Regierung, Gewalt, Schmerz oder
Geldmangel ist - nicht einmal, daß wir nicht geliebt werden - sondern
jenes in unserem reflektierenden Geist entstehende Gefühl, von unseren
jeweiligen Umständen erdrückt zu werden. Sich auf dieses Hauptproblem
einlassen bedeutet vorab, die Verantwortung für die Stimmungen unseres
Geistes zu übernehmen. Nun sind wir bereit, über die Probleme unserer
Existenz, und damit auch über Verzweiflung, tiefer nachzudenken. Nach
der Lehre des Buddha ist es das Unverständnis dieses Hauptproblems, das
uns verleitet, uns und andere mit unseren Zielen, unserem Ehrgeiz, mit
Fehden und Kreuzzügen zu plagen, und uns letztlich von Geburt zu Geburt
zu schleppen. Und dies alles, um im Grunde nur unseren unangenehmen
Gefühlen Abhilfe zu schaffen.
Es geht uns Menschen heute beträchtlich besser als noch vor wenigen
Generationen. Wenn wir etwas weiter zurück blicken, läßt sich unser
Dasein, was Annehmlichkeiten und Sicherheit angeht, kaum mehr mit jenem
unserer urzeitlichen Vorahnen vergleichen: siebzig oder achtzig Jahre
sind eine normale Lebensdauer geworden; wir heizen über automatische
Temperaturfühler, versorgen unsern Körper auf Knopfdruck mit Licht und
allen erdenklichen Annehmlichkeiten, reisen, essen die ausgefallensten
Speisen, können eine erstaunliche medizinische Versorgung in Anspruch
nehmen, tauschen mit ein paar Mausklicks Informationen in Windeseile,
und erfreuen uns an der Bereicherung durch Künste, Musik und geistige
Beschäftigung in einem Maß, wie es nie zuvor in der Geschichte der
Menschheit möglich war.Und dennoch ist die Macht des Leidens noch immer
beträchtlich. Auch wenn uns nicht mehr Bären aus der Wohnhöhle jagen,
der Kopf der Steinaxt abbricht, oder uns die Schwarze Pest dahinrafft:
wir leiden noch immer. Leiden daran, daß der Computer aussteigt, daß der
Rasenmäher verrückt spielt, beim Fernseher was durchbrennt, das Auto
eine Panne hat. Laufend tauchen neue Krankheiten auf: Krebs, Viren,
Allergien und Nervenleiden setzen uns zu. Wie viele Übel wir auch
beseitigen, es scheinen nicht weniger zu werden. Wie unser
Lebensstandard, so erhöhen sich unsere Erwartungen: Es scheint uns heute
lästig, für die Strecke von London nach Edinburgh neun oder zehn Stunden
zu brauchen. Vor 150 Jahren schien es ein Wunder, dieselbe Distanz in
vierzehn Tagen zu schaffen — noch dazu ohne von einem Straßenräuber eins
über den Schädel zu kriegen oder in den Torfmooren steckenzubleiben!
Wir bezahlen die Annehmlichkeiten unseres Lebens mit zunehmend größerer
Abhängigkeit. Unterdessen sind die Maschinen, die wir täglich brauchen,
so kompliziert geworden, daß wir sie nur noch ausnahmsweise selbst
reparieren können. Was passiert bei einem Stromausfall? Unsere Vorfahren
waren es sich gewöhnt im Dunkeln zu sitzen: sie gingen einfach schlafen
oder zündeten eine Sturmlaterne an. Für uns sind die Dinge meist
komplizierter. Ob Elektrizität vorhanden ist, steht kaum mehr in der
Macht des Einzelnen, von Post, Flugverbindungen und Müllabfuhr ganz zu
schweigen. Niemand kann sich der Komplexität unseres Lebens mehr
entziehen. Wenn nun der Saft ausgeht, haben wir mit einem Schlag die
Kontrolle über unsere aufwendig domestizierte Umwelt verloren und sind
in vielem machtloser als unsere genügsamen Vorfahren. Diese Komplexität,
unsere Abhängigkeit davon und unsere Machtlosigkeit bedeuten, daß wir
immer am Rande eines psychologischen Abgrundes leben: ein Sturz in die
Erfahrungen Verlust, Angst, Isolation oder Unsicherheit ist jederzeit
möglich. Von äußeren Risiken wie bewaffneten Auseinandersetzungen,
Umweltkatastrophen, immer wieder aufflackernden Kriegen oder der nach
wie vor bestehenden nuklearen Bedrohung gar nicht zu reden.
Was können wir angesichts dieser Situation tun? — Nun, wir müssen unsere
Weisheit einsetzen, um zu ergründen, woraus diese Anfälligkeit unseres
Lebensgefühls entsteht. Ein ganz augenfälliger Grund ist dabei
zweifellos, daß Menschen immer wieder versuchen, auf Sinnesebene mehr
aus dem Leben herauszuholen, als es da zu holen gibt. So versuchen wir
unermüdlich, Tod, Alter und Krankheit zu überlisten, über jene Grenzen
hinaus zukommen, die die Natur uns setzt. In dem Maße, wie es uns
tatsächlich gelang, diese Natur zu kontrollieren, haben wir aber nicht
nur unsere Situation annehmlicher und sicherer gemacht, sondern immer
auch ein Stück unserer Findigkeit, unserer inneren Widerstandskraft und
Ausdauer verloren.
Wir scheinen einen Trieb zu laufender Lebensverbesserung in uns zu haben.
Nicht, daß wir nun nicht versuchen sollten, die Dinge zu verbessern. Das
Frustrierende an der ganzen Sache ist nur, daß wir bei unsern Versuchen
viel Anstrengung und Energie aufwenden, ohne dabei groß Erfolg zu haben.
Etwa so ähnlich, wie wenn wir Weizen auf Schutt anbauen: Es braucht eine
Menge Arbeit, bis der Schutt für den Weizenanbau auch nur ein bißchen
fruchtbar wird. Pflanzen wir diesen auf fruchtbaren Boden, so wächst er
aber kräftig. Wenn wir auf Sinnesebene nach Frieden und Zufriedenheit
streben, dann gleicht das dem Versuch, Weizen auf Schutt anzubauen:
solange wir uns bloß als Geschöpfe unserer Sinne empfinden, werden uns
immer Enttäuschungen und innere Verzweiflung aushöhlen. Das wesentliche
Merkmal im Reich der Sinne - damit meine ich alles was wir hören, sehen,
riechen, schmecken, ertasten und denken können und alle Wahrnehmungen,
die aus diesen Sinnesfunktionen entstehen - ist Anfälligkeit und
Unbeständigkeit: alles, was mit den Sinneserfahrung zu tun hat, stirbt.
Wie viele unserer Systeme funktionieren tatsächlich so, wie sie es
sollten? Zum Beispiel dieses klösterliche System hier: Wir haben einen
Rhythmus, eine besondere Form von Tagesablaufs, eine Ordensdisziplin
etc. — als Leitidee hört sich dies alles sehr gut an. Aber im
praktischen Leben muß diese Idee fortwährend gestaltet, geformt,
angepaßt, kommentiert und erklärt werden; ihr Sinn muß erläutert und der
richtige Umgang damit muß gelehrt werden. Daß so viel Aufwand nötig ist,
geht nicht auf einen Fehler im System zurück. Es sind gerade die besten
unter den Systemen, (alle welche sich nicht selbst als unumstößliche
Wahrheit verabsolutieren) die diesen Aufwand erfordern. Mit anderen
Worten: eine Idee, ein geistgeschaffenes Gebilde, das sich selbst für
nicht mehr als eine Einschätzung hält, ist vielleicht die genaueste.
Denn sie sagt aus, daß sich im Reich der Sinne nichts Vollkommenes
herstellen läßt, daß wir uns immer im Hinblick auf Situation, Zeit und
Ort anpassen müssen.
Jedes vom Verstand ausgearbeitete Verfahren muß in gelebter Praxis in
einer Weise ausreifen, die niemals vollkommen ausgedrückt werden kann.
Wir müssen auf unser prüfendes Verständnis bauen, müssen betrachten und
hinterfragen lernen: „Funktioniert das? Gehen wir das auch wirklich mit
Weisheit an?“ Wir haben Vorstellungen, wie unsere Ehe, unser Tagesablauf
aussehen sollte - nicht zuletzt auch, wie wir sein sollten. Und wir
müssen uns und unsere Vorstellungen ständig anpassen, können nicht
einfach an ihnen festhalten und erwarten, daß alles funktioniert - oder
wir stürzen uns mit großer Wahrscheinlichkeit in fürchterliche
Verzweiflung.
Auch wenn wir eine gewählte Regierung haben: noch gibt es Gewalt und
Bestechlichkeit in dieser Gesellschaft; trotz medizinischer Versorgung
gibt es noch immer Krankheiten; obwohl wir leistungsfähige Maschinen
bauen, plagen uns Versorgungsausfälle, Pannen, Durcheinander und
Havarien. Immer bleibt etwas ungelöst, immer bleibt ein Wurm im Apfel.
Unstimmigkeiten und Unzulänglichkeiten im Leben sind weit natürlicher
als jene Vorstellungen von Vollkommenheit, die wir uns anmaßen, einer
sich sträubenden Welt aufzwingen zu wollen.Woher kommt diese Vorstellung
von Vollkommenheit? Sie kommt von einer zusätzlichen Dimension, die der
menschliche Geist hat: Katzen, Schnecken und Wanzen haben sie nicht.
Auch Tiere erfahren Schmerz und Furcht, doch - so weit jedenfalls wie
wir dies feststellen können - kennen sie jene erdrückende Qual nicht,
die uns Menschen befällt, wenn alles schief zu laufen beginnt. Diese
Qual ist eine Facette jener zusätzlichen Dimension unseres Geistes, die
auch die Vorstellung von Vollkommenheit, das Ideal und den Traum schafft.
Menschen sind träumende Geschöpfe. Wir hegen erhabene Bestrebungen mit
einem Geist, der nach Vollkommenheit strebt, aber zugleich physisch
verwurzelt in einer durch die Sinne verursachten Zwangslage lebt, in der
Vollkommenheit groteskerweise überhaupt nicht existiert.
Die Vollkommenheit einer Rose ist, daß sie Knospen trägt, blüht, welkt,
verblüht, die Blütenblätter fallen läßt und schließlich stirbt. Ihre
Vollkommenheit ist die der Dinge, wie sie sind. Es hat wenig Sinn einer
welkenden Rose zu sagen: „Ich bin enttäuscht! Du läßt mich im Stich!
Weshalb bleibst du nicht frisch? Nach all dem feinen Mist, den ich dir
gebracht habe!“
Der zusätzlichen Dimension unseres Geistes, sich etwas vorstellen oder
nach etwas streben zu können, kommt große Bedeutung zu. Manchmal
mißverstehen Menschen die Lehre des Buddha und meinen, sie bedeute
vollständige Teilnahmslosigkeit — daß wir am besten im Zustand der
Tatenlosigkeit leben, nur passiv beobachten und auf Nibbana, das
endgültige Erlöschen warten. Ein verhängnisvolles Mißverständnis, das
nicht etwa zu Geistesruhe und Gelassenheit führt, sondern nur zu
Sterilität und einem allmählichen Ersticken des Geistes.
Was also tun unserem Unbehagen, den täglichen kleinen Enttäuschungen,
den zahllosen Traurigkeiten — was mit unserer Angst vor diesen
Erfahrungen? Wir kommen nach Hause, schalten den Fernseher, das Radio
an, legen eine Kassette ein, lesen ein Buch, unterhalten uns mit
jemandem, essen oder trinken etwas, rufen Freunde an.... und
überkleistern das innere Unbehagen, lenken den Geist mit ein paar
kräftigen Reizen ab und erleichtern so unser Befinden mit angenehmen und
beruhigenden Sinneseindrücken. Doch das verhindert auf die Dauer die
Verzweiflung nicht. Es ist verblüffend, wieviele Möglichkeiten zur
Zerstreuung wir uns geschaffen haben. Die meisten davon sind nicht an
sich interessant, sondern sie dienen in erster Linie dem Akt des
Vermeidens: in unser Inneres zu schauen, uns mit unserer Psyche
anzufreunden, die Folgen des Tages, dieser oder jener Auseinandersetzung
zu betrachten, uns über Gefühle und Erinnerungen klar zu werden, die
sich im Lauf der Jahre in uns ablagern - all die kleinen Fruste, Ängste,
Qualen; und darunter die schwärzlich aufquellende Verzweiflung, daß dies
alles kein Ende nimmt und wir im Grunde keinen Schritt weiterkommen.
Hinter unserem rastlosen Bedürfnis immer neue Dinge aufzunehmen, uns mit
immer neuen Sinneserfahrungen zu versorgen, steht der Versuch, den
unzufriedenen und aufgeregten Geist von sich selbst abzulenken. Oft sind
wir uns nicht einmal mehr darüber klar, daß da überhaupt Unzufriedenheit
ist und behaupten: „Mit mir ist alles in Ordnung“, bis wir einmal zehn
Minuten stillsitzen und erkennen, was da alles in uns brodelt, und wie
der Geist in Aufruhr gerät, wenn uns mit einem Mal verdrängte Gedanken,
Erinnerungen und Gefühle einholen. Es ist nicht schwer, eine gewisse
Zwanghaftigkeit in unseren Sinnesappetiten zu entdecken. Nicht etwa
deshalb, weil wir besonders gierig oder lüstern wären, sondern oft
einfach, weil wir, wohin auch unser Auge fällt, mehr oder weniger
unterschwellig dazu ermutigt werden, uns mit Dingen zu versorgen — ein
Klima, das Gier laufend begünstigt. Woher kommt dieser fortwährende
Drang nach mehr, wenn wir doch offensichtlich schon so viel haben? —
Weil uns Fülle und Auswahl möglicher Erfahrungen verwirren, reduziert
sich unser Augenmerk ganz auf eine Welt der Sinne und der Dinge; diese
kann naturgemäß nie halten, was sie verspricht, und wir finden uns
irgendwann enttäuscht, eingeschränkt, und mit dem brennenden Gefühl, daß
wir noch mehr brauchen.
Wahre spirituelle Suche verlangt, daß wir alle Erwartungen beiseite
legen - auch jene, daß eine religiöse Form vollkommen sei, wahr und
besser als alle anderen. Beginnen wir bei meiner eigenen: Theravada-Buddhismus
ist als Form ganz in Ordnung, aber er hat eine Reihe Makel: Es fehlt der
tiefgreifende Ansatz für ein Wohlfahrtsprogramm, es liegt sonderlich
wenig Nachdruck auf freiheitlichen Idealen, Unabhängigkeit scheint kein
Thema; Mönche und Nonnen können nicht ihre eigene Nahrung anbauen oder
etwas in Richtung auf Selbstversorgung tun, sie können sich nicht einmal
ausschließlich organischer oder vegetarischer Ernährung verschreiben.
Und es ist durchaus möglich, für all dies ein gewisses Maß an Bedauern
zu empfinden. Als ich meine erste Begegnung mit der Lehre des Buddha
hatte, dachte ich mir, daß Zen am hübschesten sei: da gibt es
wunderschöne Klöster, man übt Kalligraphie, fegt Kies und tut eine Reihe
anderer, ausnehmend geschmackvoller Dinge; da werden wirklich weise,
geistreiche Worte gesagt und alles ist ganz einfach makellos. Dann
landete ich eines Tages in einem thailändischen Kloster, wo überall
leere Dosen herumlagen, streunende Hunde den zu Haufen aufgeschichteten
Abfall fraßen, und ich in einer kleinen Hütte saß und schwitzte! Nichts,
das mich sehr inspiriert oder progressiv angemutet hätte. Was die
äußeren Sinne betraf, und selbst auch auf Verstandesebene, war alles ein
wenig enttäuschend; ich mußte viel von meinem intellektuellen Durst und
Idealismus aufstecken.
Um wirklich aller Verzweiflung auf den Grund zu gehen, ist nichts
weniger als eine vollständige Herzensänderung nötig: Die Bereitschaft,
daß wir, was uns Bewußtsein und Sinne melden, nicht für mehr als nur das
Rohmaterial, die bloße Grundlage sehen, auf welcher wir schließlich
unser Menschsein verwirklichen, indem wir eine weitere Dimension in
unser Leben bringen. Der Unterschied zwischen spiritueller Suche und dem
Streben nach Perfektion auf weltlicher Ebene ist fein: der spirituelle
Pfad ist im wesentlichen ein Geben, eine Hingabe an die Übung, jenen
erkenntnisfähigen Aspekt des Geistes ans Tageslicht zu bringen, jene
andere Dimension in uns zu kultivieren, von der ich gesprochen habe. Es
ist eine Haltung, die mit Geduld auf Unruhe antwortet, mit Zuwendung auf
Abneigung, mit Toleranz auf Vorurteile. Wir lernen aus jenem Teil
unserer selbst zu leben, der zu antworten und nicht nur zu reagieren
versteht. Der spirituelle Pfad lehrt Hingabe, statt unserer Umwelt mit
der Forderung zu begegnen: „Mach mich glücklich und zwar so schnell wie
möglich!“ Es ist verlockend, sich auf einen impulsiven und weltlichen
Zustand des Geistes einzulassen: schnelle, dramatische Wirkungen haben
etwas Betörendes. Wenn wir mit Unzulänglichkeiten unverzüglich und
scheinbar endgültig aufräumen - die Blattlaus ausrotten, die Krankheit
ersticken, die Feinde zerschlagen - kriegen wir ein berauschendes Gefühl
von Erfolg und Fortschritt. Und um so mächtiger fühlen wir uns
zurückgesetzt, wenn die Probleme unvermeidlicherweise wieder auftauchen:
Gereiztheit, Ärger und Verzweiflung schlagen über uns zusammen. Den Pfad
des spirituellen Suchers gehen heißt, unsere Erfahrungen viel tiefer und
uneingeschränkter verstehen lernen, heißt, geduldiger und realistischer,
ohne Selbstmitleid und Hoffnungslosikgeit mit unseren Grenzen leben. Wir
werden dieses Jahr eine gewisse Menge Kohl an die Kaninchen verlieren,
das ist nun mal so und wir werden uns darauf einzustellen haben.
Womit können wir Frieden und Glück in unserem Leben schaffen? Was ist
das Wichtigste, das ein Menschen zu tun vermag? Wir erreichen es dadurch,
daß wir uns über jene geistige Kraft in uns klarwerden, die Gutes zu
schaffen vermag. Dieser Schatz allein ist ungeheur kostbar. Frieden und
Glück schaffen heißt, soviel als möglich von dieser inneren Kostbarkeit
wirksam und wirklich werden zu lassen. Es geht darum, die
Unzulänglichkeiten des Körpers, des Geistes und der materiellen Umwelt
als Anlaß zu nehmen, eine innere Haltung und Stärke zu kultivieren, die
diesen Unzulänglichkeiten begegnet und sie ausgleicht. Nun stellt sich
heraus, daß es gerade die uns auferlegten Beschränkungen sind, an denen
wir zu einem volleren und reicheren Leben reifen, unseren Geist und
unser Gewahrsein stärken um letztlich über alle Beschränkungen hinaus zu
wachsen.
Leben ist schwierig. Es gibt Dinge, vor denen wir uns fürchten, Dinge,
die uns wehtun. Doch wir können, statt uns bloß in Gedanken und Gefühlen
über diese schmerzlichen Umständen zu verstricken, diese als Gelegenheit
zum Wachstum wahrnehmen. Darin hängenbleiben bedeutet, daß wir uns in
irgendetwas festgebissen haben, daß wir irgendwo Erwartungen auf den
Leim gekrochen sind, uns eingeredet haben, die Dinge im Griff zu haben:
wir lagen falsch. Die Dinge laufen anders. Es ist uns unmöglich,
vorauszusagen, was mit dem eigenen Körper geschieht — wie also sollte
uns dies für die Welt möglich sein? Auch mit dem eigenen Geist, den wir
uns gern als den unsern und als uns selbst vorstellen, gelingt dies
nicht. Der kleine Versuch, den eigenen Geist auf Geheiß glücklich, klar
oder strahlend zu machen, muß scheitern: es geht nicht. Doch wenn wir
uns etwas zurücknehmen und unsern guten Willen, unsere Aufmerksamkeit,
unser Herz gewähren, klärt sich derselbe Geist von selbst. Es wird auch
dann noch Schwierigkeiten geben. Aber jenes erstickende Gefühl an einem
unverdaulich großen Bissen zu würgen, den wir weder schlucken,
ausspucken noch ertragen können — dieses Gefühl ist weg.
Meditation hilft uns, an die Wurzeln schmerzlicher Erfahrungen
zurückzukehren und sie genauer zu betrachten. Nicht um herauszukriegen,
weshalb sie sein oder nicht sein sollten, was man nun dagegen
unternehmen könnte, etc. Aber um zu sehen, wo genau uns die Mutlosigkeit
erfaßt — wo ist dieses Gefühl und was genau ist es? Ist es nicht der
Wunsch, daß die Dinge anders wären als sie sind? Und wenn wir bei diesem
Gefühl verweilen, fühlen wir die Verzweiflung in uns aufsteigen, wenn
die Dinge schieflaufen, wenn sich Schwierigkeiten einstellen, wenn’s
chaotisch wird. Und doch ist es möglich, bei der aufsteigenden Panik und
den aufwallenden Gefühlen zu bleiben, statt sie zu verdrängen oder mit
anderen Sinneseindrücken zu überkleistern, sie einfach zu betrachten und
die Aufmerksamkeit im Herzen zu halten - ein Herz, das dies zulassen und
allem Raum zu gewähren vermag. Auf diese Weise verstricken wir uns nicht
in die Verzweiflung, werden nicht von ihr erdrückt und sie wird
irgendwann abklingen und verebben.
Dies also ist die Übung welche der Buddha als jene der Vier Edlen
Wahrheiten darlegte: Unzufriedenheit, ihren Ursprung, ihr Ende, und der
Pfad der zu diesem Ende führt. Es ist diese Übung, welche die sinnliche
und materielle Welt in eine spirituelle vewandelt: aus Beschränkung und
Sterblichkeit führt sie zu Freiheit und Erlösung. Dies ist ein
wirkungsvolles Mittel, die Angst genau da zu entschärfen, wo sie uns
packt. Auch sind dazu nicht zweitausend Jahre Geschichte nötig; es
braucht dafür weder gewichtige Technologien noch eine veredelte
Hochkultur. Was es braucht, ist eine Kultur unserer Instinkte; diese ist
in der Tat bei Lebzeiten möglich: selbst innerhalb weniger Jahre ist der
Pfad erkennbar und wir können ihn mit wachsender Zuversicht beschreiten.
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