Aṅguttara Nikāya

Das Sechser-Buch

55. Das Gleichnis von der Laute

So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene auf der Geierspitze bei Rājagaha Zu jener Zeit aber lebte der ehrwürdige Sona im Kalten Walde bei Rājagaha. Während nun der ehrwürdige Sona einsam und abgesondert verweilte, stieg ihm im Geiste folgende Erwägung auf: „Von denen unter den Jüngern des Erhabenen, die voller Eifer verharren, bin ich einer. Dennoch aber findet mein Herz nicht die haftlose Befreiung von den Trieben. Nun besitzt ja meine Familie großen Reichtum, und man kann ja seine Schätze genießen und dabei gute Werke tun. So will ich denn lieber die Schulung aufgeben, zum niederen Weltleben zurückkehren, meinen Besitz genießen und gute Werke tun.“

Der Erhabene aber erkannte in seinem Geiste die Gedanken des ehrwürdigen Sona. Und so schnell wie ein starker Mann den gebeugten Arm ausstreckt oder den gestreckten Arm beugt, verschwand der Erhabene von der Geierspitze und erschien im Kalten Walde vor dem ehrwürdigen Sona. Der Erhabene nahm auf dem bereitstehenden Sitze Platz,und auch der ehrwürdige Sona setzte sich nach ehrfurchtsvoller Begrüßung des Erhabenen zur Seite nieder. Und der Erhabene sprach zu ihm also:

„Ist dir nicht, Sona, als du einsam und abgesondert verweiltest, diese Erwägung im Geiste aufgestiegen: ‚Von denen unter den Jüngern des Erhabenen, die voller Eifer verharren, bin ich einer. Dennoch aber findet mein Herz nicht die haftlose Befreiung von den Trieben. Nun besitzt ja meine Familie großen Reichtum, und man kann ja seine Schätze genießen und dabei gute Werke tun. So will ich denn lieber die Schulung aufgeben, ins niedere Weltleben zurückkehren, meinen Besitz genießen und gute Werke tun‘.“

„So ist es, o Herr.“

„Sag‘, Sona, du hattest dich doch wohl früher, als du noch im Hause lebtest, auf den Saitenklang im Lautenspiel verstanden?“

„Ja, o Herr.“

„Sag, Sona, wenn die Saiten deiner Laute zu straff gespannt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?“

„Nein, o Herr.“

„Wenn nun aber die Saiten deiner Laute zu schlaff gespannt waren, gab da wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?“

„Nein, o Herr.“

„Wenn nun aber, Sona, die Saiten deiner Laute weder zu straff noch zu lose gespannt, sondern auf mittlere Tonhöhe abgestimmt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?“

„Ja, o Herr.“

„Ebenso auch, Sona, führt allzu straffe Anspannung der Willenskraft zur Aufregung, allzu schlaffe Anspannung aber zur Trägheit. Darum, Sona, halte dich an ein Ebenmaß deiner Willenskraft, erwirb dir ein Ebenmaß deiner Fähigkeiten und so strebe dann nach dem Ziel !“

„Ja, o Herr“, erwiderte der ehrwürdige Sona dem Erhabenen. Und der Erhabene, nachdem er dem ehrwürdigen Sona diese Ermahnung gegeben hatte, verschwand aus dem Kalten Walde und trat auf der Geierspitze wieder in Erscheinung.

Der ehrwürdige Sona aber hielt sich in der Folgezeit an das Ebenmaß seiner Willenskraft, erwarb sich ein Ebenmaß seiner Fähigkeiten,und so strebte er nach dem Ziele. Einsam, abgesondert, unermüdlich, eifrig und entschlossen verweilend, gewann dann der ehrwürdige Sona nach gar nicht langer Zeit jenes höchste Ziel des Reinheitslebens, demzuliebe edle Jünglinge gänzlich von Hause fort in die Hauslosigkeit ziehen, und er erkannte und verwirklichte es für sich selber. Und er wußte: „Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, vollendet ist das Werk, getan ist was zu tun war, nichts weiteres mehr nach diesem hier.“ So war der ehrwürdige Sona einer der Heiligen geworden. Nachdem aber der ehrwürdige Sona die Heiligkeit erreicht hatte, da dachte er: „So will ich mich nun zum Erhabenen begeben und ihm mein Heiligkeitswissen kundtun.“ Und der ehrwürdige Sona begab sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, sprach der ehrwürdige Sona zum Erhabenen also:

„Wer da, o Herr, ein Heiliger ist, ein Triebversiegter, der den Heiligen Wandel vollendet und sein Werk vollbracht, die Bürde abgelegt und die Daseinsfesseln gelöst hat, der durch das vollkommene Heiligkeitswissen befreit ist, ein solcher Mönch ist sechs Dingen zugeneigt: er ist zur Entsagung geneigt, zur Abgeschiedenheit, zur Hassensfreiheit, zur Versiegung des Begehrens, zur Versiegung des Anhaftens und zur Unverblendung.“

„Nun möchte vielleicht ein ehrwürdiger Bruder also denken: ‚Sicherlich ist es nur auf Grund seines bloßen Vertrauens, daß dieser Ehrwürdige zur Entsagung geneigt ist.‘ Doch so sollte man nicht denken. Ein Mönch, o Herr, der ein Triebversiegter ist, der den Heiligen Wandel vollendet und sein Werk vollbracht hat und der bei sich nichts mehr sieht, was er noch zu vollbringen oder dem Vollbrachten hinzuzufügen hätte, der ist eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein zur Entsagung geneigt.“

„Ferner möchte da vielleicht ein ehrwürdiger Bruder also denken: ‚Sicherlich ist es nur infolge seines Verlangens nach Gewinn, Ehre und Ruhm, daß dieser Ehrwürdige zur Abgeschiedenheit geneigt ist.‘... ‚Sicherlich ist es nur, weil er die Hinwendung zu Sittenregeln und Asketenbräuchen als das Wesentliche betrachtet, daß dieser Ehrwürdige zur Hassensfreiheit geneigt ist.‘ Doch so sollte man nicht denken. Ein Mönch, o Herr, der ein Triebversiegter ist, der den Heiligen Wandel vollendet und sein Werk vollbracht hat und der bei sich nichts mehr sieht, was er noch zu vollbringen oder dem Vollbrachten hinzuzufügen hätte, der ist eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein, zur Hassensfreiheit geneigt.“

„Eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein, ist er zur Versiegung des Begehrens geneigt.“

„Eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein, ist er zur Versiegung des Anhaftens geneigt.“

„Eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein, ist er zur Unverblendung geneigt.“

„Selbst wenn, o Herr, einem derart vollkommen geisteserlösten Mönche gar eindringlich sichtbare Formen in den Gesichtskreis treten... hörbare Töne in das Hörgebiet treten... riechbare Düfte in das Riechgebiet treten... schmeckbare Säfte in das Schmeckgebiet treten... körperliche Eindrücke in das Körpergebiet treten... geistig erkennbare Dinge in den Denkkreis treten, so vermögen sie seinen Geist nicht mehr zu fesseln; sein Geist bleibt unberührt, standhaft, unerschütterlich, und in all dem sieht er die Vergänglichkeit.“

„Wer der Entsagung ist geneigt,
und geist‘ger Abgeschiedenheit,
der Hassensfreiheit zugetan,
von allem Haften abgelöst,

Wer des Begehrens Ende fand,
des Geistes Wirrnis überwand
und das Entstehen der Sinne kennt,
ja, dessen Geist ist recht erlöst.

Und solch ein recht erlöster Mönch,
der seines Herzens Stillung fand,
hat ohne Rest sein Werk erfüllt,
und nichts mehr bleibt für ihn zu tun.

Gleichwie ein Fels aus einem Stück
vom Sturme nicht erschüttert wirt,
so können weder Form noch Ton,
noch Duft, noch Saft, auch Tastung nicht,

Nichts Liebliches, nichts Widriges
erschüttern je den Heiligen.
Gefestigt ist sein Geist, erlöst,
Vergehen schaut er überall.“