Aṅguttara Nikāya

Das Zehner-Buch

115. Lehrwidrig und lehrgemäß

„Das Lehrwidrige, ihr Mönche, soll man kennen und das Lehrgemäße sowie das Schädliche und das Förderliche; und hat man das Lehrwidrige und das Lehrgemäße, das Schädliche und das Förderliche erkannt, so soll man dem Lehrgemäßen und Förderlichen entsprechend leben.“

Also sprach der Erhabene. Nach diesen Worten aber erhob sich der Erhabene von seinem Sitze und begab sich in seine Zelle.

Nicht lange aber, nachdem der Erhabene gegangen war, da sagten sich die Mönche: „Der Erhabene, ihr Brüder, hat uns da in kurzen Worten einen Lehrsatz gegeben, und ohne den Sinn näher zu erklären, hat er sich in seine Zelle begeben. Wer vermöchte wohl, den Sinn des vom Erhabenen in Kürze gegebenen Lehrsatzes näher zu erklären?“ Und der Gedanke kam ihnen: „Dieser ehrwürdige Ānanda wird ja vom Meister selber gepriesen und ist angesehen bei seinen Ordensbrüdern. Der ehrwürdige Ānanda ist wohl dazu imstande, den Sinn zu erklären. So wollen wir denn zum ehrwürdigen Ānanda hingehen und ihn darum befragen. Wie es uns der ehrwürdige Ānanda erklären wird, so wollen wir es uns merken.“ Darauf begaben sich jene Mönche zum ehrwürdigen Ānanda und trugen ihm ihr Anliegen vor.

(Ānanda:) „Gleichwie, ihr Brüder, ein Mann, der Kernholz wünscht, nach Kernholz sucht, auf Kernholz ausgeht, über die Wurzeln eines dastehenden Baumes hinwegklettert, über den Stamm hinwegklettert und in den Zweigen und im Laubwerk Kernholz zu finden hofft, genauso verhält es sich hier. Obwohl der Meister zugegen war, habt ihr ihn, den Erhabenen, übergangen und glaubt, mich befragen zu sollen. Jener Erhabene, wahrlich, ihr Brüder, erkennt das Erkennbare, durchschaut das Durchschaubare, er ist verkörperte Einsicht, verkörperte Erkenntnis, verkörperte Lehre, verkörperte Heiligkeit; er ist der Künder und Verkünder, der Erschließer des Sinnes, der Spender des Todlosen, der Lehre Herr, der Vollendete. Ihr hattet ja Zeit, euch zum Erhabenen zu begeben und ihn um die Sache zu befragen. Wie es euch dann der Erhabene erklärt hätte, so hättet ihr es euch merken sollen.“

„Freilich, Bruder Ānanda, erkennt der Erhabene das Erkennbare..., und wohl hatten wir Zeit, uns zum Erhabenen zu begeben und ihn darum zu befragen. Doch der ehrwürdige Ānanda wird ja vom Meister selber gepriesen, und angesehen ist er bei den Ordensbrüdern. Wohl wäre der ehrwürdige Ānanda dazu imstande, den Sinn des vom Erhabenen in Kürze gegebenen Lehrsatzes ausführlich zu erklären. Erklären möge es der ehrwürdige Ānanda, wenn es ihm nicht beschwerlich ist!“

„So höret denn, Brüder, und achtet wohl auf meine Worte!“—„Ja, Bruder“, widerten jene Mönche, und der ehrwürdige Ānanda sprach:

„‚Das Lehrwidrige, ihr Mönche, soll man kennen, und das Lehrgemäße sowie das Schädliche und das Förderliche; und hat man das Lehrwidrige und Lehrgemäße, das Schädliche und das Förderliche erkannt, so soll man dem Lehrgemäßen und Förderlichen entsprechend leben.‘ Diesen kurzen Lehrsatz, ihr Brüder, hat euch der Erhabene gegeben, und ohne den Sinn näher zu erklären, hat er sich in seine Zelle begeben. Was ist nun, ihr Brüder, das Lehrwidrige und was das Lehrgemäße, was ist das Schädliche und was das Förderliche?

Verkehrte Ansicht, Brüder, ist das Lehrwidrige, rechte Erkenntnis das Lehrgemäße. Die vielen üblen, unheilsamen Dinge, die zufolge verkehrter Ansicht entstehen, diese sind das Schädliche; die vielen heilsamen Dinge, die auf Grund rechter Erkenntnis entstehen, diese sind das Förderliche. Verkehrte Gesinnung ist das Lehrwidrige, rechte Gesinnung das Lehrgemäße—verkehrte Rede ist das Lehrwidrige, rechte Rede as Lehrgemäße—verkehrte Handlungsweise ist das Lehrwidrige, rechte Handlungsweise das Lehrgemäße—verkehrter Lebensunterhalt ist das Lehrwidrige, rechter Lebensunterhalt das Lehrgemäße—verkehrtes Streben ist das Lehrwidrige, reches Streben das Lehrgemäße—verkehrte Achtsamkeit ist das Lehrwidrige, rechte Achtsamkeit das Lehrgemäße—verkehrte Sammlung ist das Lehrwidrige, rechte Sammlung das Lehrgemäße—verkehrtes Wissen ist das Lehrwidrige, rechtes Wissen das Lehrgemäße—verkehrte Befreiung ist das Lehrwidrige, rechte Befreiung das Lehrgemäße. Die vielen üblen, unheilsamen Dinge, die zufolge verkehrter Befreiung entstehen, diese sind das Schädliche; die vielen heilsamen Dinge, die auf Grund rechter Befreiung entstehen, diese sind das Förderliche.

So, ihr Brüder, verstehe ich den ausführlichen Sinn des Lehrsatzes, den der Erhabene in Kürze gegeben hatte, ohne den Sinn näher zu erklären. Wenn ihr wollt, ihr Brüder, so möget ihr nun zum Erhabenen hingehen und ihn um den Sinn befragen. Wie es euch der Erhabene erklären wird, so mögt ihr es euch merken.“

„Gut, o Bruder“, erwiderten jene Mönche dem ehrwürdigen Ānanda. Durch die Worte des ehrwürdigen Ānanda erfreut und befriedigt, erhoben sie sich von ihren Sitzen und begaben sich zum Erhabenen. Dort angelangt, begrüßten sie ehrfurchtsvoll den Erhabenen und setzten sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, sprachen jene Mönche zum Erhabenen also:

„Nicht lange, o Herr, nachdem der Erhabene gegangen war, da sagten wir uns: Der Erhabene, o Brüder, hat uns da in kurzen Worten einen Lehrsatz gegeben, und ohne den Sinn näher zu erklären, hat er sich in seine Zelle begeben. Wer vermöchte wohl, den Sinn des vom Erhabenen in kurzen Worten gegebenen Lehrsatzes näher zu erklären?‘ Und der Gedanke kam uns: ‚Dieser ehrwürdige Ānanda wird ja vom Meister selber gepriesen und ist angesehen bei seinen Ordensbrüdern. So wollen wir denn zum ehrwürdigen Ānanda hingehen und ihn darum befragen. Wie es uns der ehrwürdige Ānanda erklären wird, so wollen wir es uns merken.‘ Darauf begaben wir uns zum ehrwürdigen Ānanda und befragten hin. Und der ehrwürdige Ānanda legte uns in solcher Weise, in solchen Sätzen und solchen Worten den Sinn ausführlich dar.“

„Recht so, ihr Mönche, recht so! Weise, ihr Mönche, ist Ānanda, ein großes Wissen, ihr Mönche, besitzt Ānanda. Auch wenn ihr zu mir gekommen wäret, ihr Mönche, und hättet mich nach dieser Sache gefragt, so hätte ich dies genauso erklärt, wie es Ānanda erklärt hat. Das eben ist der Sinn davon, und so möget ihr ihn euch merken.“