Aṅguttara Nikāya
Das Sechser-Buch
54. Das Los des Boshaften
Einst weilte der Erhabene bei Rājagaha auf der Geierspitze. Damals nun hielt sich der ehrwürdige Dhammika in jeder der sieben Klausen seines Heimatlandes auf. Der ehrwürdige Dhammika aber beschimpfte die dort ankommenden Mönche, schmähte, verletzte und kränkte sie, verärgerte sie durch seine Rede. Und vom ehrwürdigen Dhammika beschimpft, geschmäht, verletzt, gekränkt und durch seine Rede verärgert, gingen jene ankommenden Mönche fort, blieben nicht und mieden die Klause.
Da aber dachten die einheimischen Laienanhänger: „Wir unterstützen die Mönchsgemeinde mit Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt und den nötigen Heilmitteln und Arzneien. Jene dort eintreffenden Mönche aber gehen wieder fort, bleiben nicht und meiden die Klause. Was ist wohl der Grund davon, was ist die Ursache?“ Und der Gedanke kam ihnen: „Dieser ehrwürdige Dhammika beschimpft, schmäht, verletzt und kränkt die ankommenden Mönche, verärgert sie durch seine Rede. Daher gehen jene wieder fort, bleiben nicht und meiden die Klause. So laßt uns denn den ehrwürdigen Dhammika fortjagen!“ Und die dort einheimischen Laienanhänger begaben sich zum ehrwürdigen Dhammika und sprachen zu ihm: „Möge, o Herr, der ehrwürdige Dhammika diese Klause verlassen! Lange genug hat er hier gelebt!“
Darauf begab sich der ehrwürdige Dhammika von dieser Klause fort zu einer anderen. Doch auch dort (ereignete sich dasselbe). Und wiederum begab sich der ehrwürdige Dhammika von jener Klause zu einer anderen; (aber auch dort ereignete sich das gleiche). Da sagten sich die dort einheimischen Laienanhänger: „So laßt uns denn den ehrwürdigen Dhammika aus sämtlichen sieben Klausen seiner Heimat vertreiben!“ Und sie begaben sich zum ehrwürdigen Dhammika und sprachen zu ihm: „Möge, o Herr, der ehrwürdige Dhammika die sämtlichen sieben Klausen seiner Heimat verlassen!“
Da dachte der ehrwürdige Dhammika: „Aus sämtlichen sieben Klausen meiner Heimat haben mich die einheimischen Laienanhänger fortgejagt. Wo soll ich nun hingehen?“ Und er dachte bei sich: „Sollte ich mich da nicht zum Erhabenen hinbegeben?“ Und der ehrwürdige Dhammika nahm Gewand und Schale und machte sich auf den Weg nach Rājagaha. Allmählich dort angelangt, begab er sich auf die Geierspitze, wo der Erhabene weilte, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Und der Erhabene sprach zu ihm also:
„Sag‘, Brahmane Dhammika, wo kommst du her?“
„Aus sämtlichen sieben Klausen meiner Heimat haben mich die einheimischen Laienanhänger fortgejagt.“
„Laß es nun gut sein, Brahmane Dhammika! Was willst du noch dort? Nachdem man dich von da und dort fortgejagt hat, kommst du nun eben wieder zu mir zurück.
Einstmals, Brahmane Dhammika, nahmen seefahrende Kaufleute einen landsichtenden Vogel mit sich und fuhren mit ihrem Schiffe auf die hohe See hinaus. Wenn sie vom Schiffe aus kein Land sahen, so ließen sie den landsichtenden Vogel fliegen. Dieser nun flog nach Osten, Westen, Norden und Süden, flog nach oben und nach den vier Zwischenrichtungen. Sobald er nun in der Nähe Land erblickte, flog er dorthin. Erblickte er aber kein Land in der Nähe, so kam er wieder zum Schiffe zurück. Ebenso auch, Brahmane Dhammika, kommst du, nachdem man dich von da und dort fortgejagt hat, eben wieder zu mir zurück.
Einstmals, Brahmane Dhammika, da hatte der König Korabhya einen königlichen Feigenbaum namens Standfest (supatittho, ‚fest gegründet‘). Mit seinen fünf Ästen spendete er kühlen Schatten und war herzerquickend. (Seine Krone) bot Schutz auf eine Reichweite von zwölf Meilen, und seine Wurzeln breiteten sich fünf Meilen weit aus. Dieser königliche Feigenbaum aber, Brahmane Dhammika, trug gar mächtige Früchte, die so groß waren wie Töpfe von einem Alhaka Inhalt, und sie waren so süß wie der reine Honig der kleinen Bienen. Davon nun verzehrte der König einen Teil, gemeinschaftlich mit seinen Frauen; einen Teil verzehrte das Heer, einen Teil die Stadt- und Landbevölkerung, einen Teil die Asketen und Brahmanen und einen Teil die wilden Tiere und Vögel. Niemand aber, Brahmane Dhammika, wachte über die Früchte des königlichen Feigenbaumes Standfest; und keiner zerstörte des anderen Früchte.
Eines Tages aber, Brahmane Dhammika, kam da ein Mann, aß sich an den Früchten des königlichen Feigenbaumes satt, brach dann einen Ast ab und ging von dannen. Die auf dem königlichen Feigenbaume Standfest hausende Gottheit aber dachte: „Erstaunlich ist es, wahrlich! Außerordentlich ist es, wahrlich, daß sich da dieser schlechte Mensch erst an den Früchten des königlichen Feigenbaumes Standfest satt ißt und dann einen Ast abbricht und fortgeht! Wie, wenn nun der königliche Feigenbaum Standfest in Zukunft keine Früchte mehr spenden möchte!“ Und der königliche Feigenbaum Standfest trug fortan keine Früchte mehr. Darauf begab sich nun König Korabhya zu Sakka dem Götterkönig und sprach zu ihm ‚Wisse, Verehrter: der königliche Feigenbaum Standfest trägt keine Früchte mehr!‘
Sakka, der Götterkönig, aber rief nun eine magische Wirkung hervor, derart nämlich, daß heftiger Sturm und Regen losbrach und den königlichen Feigenbaum Standfest umwarf und entwurzelte. Die auf ihm hausende Gottheit aber, Brahmane Dhammika, voller Kummer und Betrübnis, das Antlitz mit Tränen bedeckt, stand schluchzend daneben. Sakka, der Götterkönig, nun begab sich zu ihr und sprach:
Warum stehst du, o Gottheit, schluchzend zur Seite, so voller Kummer und Betrübnis, das Antlitz mit Tränen bedeckt?‘
‚Ein heftiger Sturm und Regen, o Herr, ist losgebrochen und hat meine Behausung umgeworfen und entwurzelt.‘
‚Bevor der heftige Sturm und Regen losbrach und deine Behausung umwarf und entwurzelte, erfülltest du da wohl deine Baumpflichten?‘
‚Auf welche Weise aber, o Herr, erfüllt wohl ein Baum seine Baumpflichten?‘
‚Da, o Gottheit, nimmt sich Wurzeln, wer Wurzeln braucht; nimmt sich Rinde, wer Rinde braucht; nimmt sich Blätter, wer Blätter braucht; nimmt sich Blüten, wer Blüten braucht; nimmt sich Früchte, wer Früchte braucht. Doch nicht darf darob die Gottheit unwillig werden und ungehalten. Auf solche Weise, o Gottheit, erfüllt ein Baum seine Baumpflichten.‘
‚Nicht erfüllte ich, o Herr, meine Baumpflichten, als der heftige Sturm und Regen losbrach und meine Behausung umwarf und entwurzelte.‘
‚Wenn du nun aber, o Gottheit, deine Baumpflichten erfüllen willst, so mag dir die Behausung wieder wie früher angehören.‘
‚Ja, o Herr. Erfüllen will ich nun meine Baumpflichten. Möge mir doch die Behausung wieder angehören wie früher!‘“
Und Sakka, der Götterkönig, rief eine magische Wirkung hervor, derart nämlich, daß ein heftiger Sturm und Regen losbrach und den königlichen Feigenbaum Standfest wieder aufrichtete und die Wurzeln alsbald wieder mit Haut bedeckt waren.
Erfülltest du nun, Brahmane Dhammika, damals deine Mönchspflichten, als du aus sämtlichen sieben Klausen deiner Heimat von den einheimischen Laienanhängern fortgejagt wurdest?“
„Auf welche Weise aber, o Herr, erfüllt wohl der Mönch seine Mönchspflichten?“
„Wird da, Brahmane Dhammika,
- der Mönch beleidigt, so beleidigt er nicht wieder;
- wird er geschmäht, so schmäht er nicht wieder;
- wird er beschimpft, so beschimpft er nicht wieder.
Auf solche Weise, Brahmane Dhammika, erfüllt der Mönch seine Mönchspflichten.“
„Nicht erfüllte ich damals, o Herr, meine Mönchspflichten, als ich aus sämtlichen sieben Klausen meiner Heimat von den einheimischen Laienanhängern fortgejagt wurde.“
„In früheren Zeiten, Brahmane Dhammika,
- da lebte ein Meister und Glaubensstifter namens Sunetta, der frei war von Gier nach den Sinnendingen.
- Und es lebte in früheren Zeiten ein Meister namens Mūgapakkha
- namens Aranemi
- namens Kuddālaka
- namens Hatthipāla
- namens Jotipāla, der frei war von Gier nach den Sinnendingen.
Dieser Meister aber hatte viele Hunderte von Jüngern. Und diesen Jüngern wies er den Weg zur Wiedergeburt unter den Göttern der Brahmawelt. Diejenigen nun, Brahmane Dhammika, die kein Vertrauen zeigten, als der Meister den Weg zur Wiedergeburt in der Brahmawelt wies, alle diese gelangten beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, in niederes Dasein, auf eine Leidensfährte, in die Daseinsabgründe, zur Hölle. Diejenigen aber, die Vertrauen zeigten, alle diese gelangten beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, auf glückliche Fährte, in himmlische Welt.“
Was meinst du nun, Brahmane Dhammika? Wenn da einer diese sechs Meister und Glaubensstifter, die von den Sinnendingen abgewandten, um die sich viele Hunderte von Jüngern scharten, in boshafter Gesinnung beschimpfte oder schmähte, würde nicht ein solcher große Schuld auf sich laden?“
„Gewiß, o Herr.“
„Wer aber, Brahmane Dhammika, einen einzigen von Erkenntnis erfüllten Menschen (ditthi-sampanna;d.i. ein Sotāpanna) in boshafter Gesinnung beschimpft oder schmäht, der ladet eine noch größere Schuld auf sich. Und warum? Weil es eben außerhalb dieser Lehre keine solch schwere Verschuldung gibt wie die gegen die eigenen Ordensbrüder.
Darum, Brahmane Dhammika, hat man danach zu streben ‚Nicht wollen wir gegen unsere Ordensbrüder boshaft gesinnt sein!‘ Danach, Brahmane Dhammika, hat man zu streben.“
„Māgapakkha und Sunetta,
Aranemi, der Brahmane,
und Kuddālaka, der Meister,
Hatthipālaka, der Jüngling,
und der Marschall Jotipāla,
Purohit der sieben Fürsten:Als friedvoll waren die sechs
gar hochberühmt in alter Zeit.
und ohne Garst, mitleiderlöst,
der Fessel der Begier entrückt,
den Sinnenlüsten abgewandt,
gelangten sie zur Brahmawelt.Um diese Meister aber scharten
sich viele hunderte von Jüngern.
Und ohne Garst, mitleiderlöst,
der Fessel der Begier entrückt,
den Sinnenlüsten abgewandt,
gelangten sie zur Brahmawelt.Die in boshafter Gesinnung,
diese andersgläub‘gen Weisen,
die Vertieften, Gierentwöhnten,
schmähten in gemeiner Weise:
solche schlechten Menschen wahrlich
häuften große Schuld sich an.Doch wer, voll Haß in seinem Herzen,
den erkenntnisreifen Mönch,
einen Jünger des Erhabenen,
beleidigt oder ihn beschimpft,
ein solcher schlechter Mensch fürwahr
erwirkt sich noch weit größ‘re Schuld.Drum greife nie den Guten an,
der alle Ansicht abgetan;
denn in der Schar der Heiligen
ist er als siebenter bekannt.Wer, unbefreit von Sinnenlust
und in fünf Fähigkeiten schwach
in Tatkraft, Achtsamkeit, Vertrauen,
in Sammlung und ErkenntnisblickUnd einen solchen Mönch beschimpft,
verletzt vor allem erst sich selbst.
Und hat er so sich selbst verletzt,
dann bringt er auch den anderen Leid.Doch wer sein Inneres bewacht,
ist auch bewacht nach außen hin.
So halte denn das eigene Herz
der Weise allzeit unbefleckt.“